Praxisbeispiel

Lernen Sie Tigger kennen, einen älteren Kater mit Polyurie, Polydipsie und Periurie.

Darf ich vorstellen: TIGGER

Ein 10 Jahre alter, kastrierter Kater (Europäischer Kurzhaarkater)

  • Tigger, der die meiste Zeit im Haus verbringt, wird zur Untersuchung wegen unangemessenem Urinierens vorgestellt, das möglicherweise vor zwei Tagen begann. Der Besitzer erzählt, dass der Kater normalerweise in eines von zwei Katzenklos uriniert, aber vor kurzem hat er in einen Wäschekorb mit schmutziger Kleidung uriniert. Dem Besitzer sind außerdem mehr Urinklumpen in den Katzentoiletten aufgefallen und er hat beobachtet, dass Tigger häufiger aus seinem Wassernapf trinkt. 
  • Tigger hat nach Belieben Zugang zu kontrollierten Mengen an Trockenfutter und bekommt zweimal täglich Nassfutter. Der Besitzer bemerkte, dass er wählerischer geworden ist, wenn es um das sein Futter geht, und dass er sich im letzten Monat gelegentlich übergeben hat.
  • Die Untersuchung ergab einen aufgeweckten, wachen und aufmerksamen Kater mit einem Body Condition Score von 5/9 und normaler Muskelmasse. Die Abtastung des Abdomens ergab, dass die linke Niere klein war (die rechte Niere konnte nicht abgetastet werden) und die Blase leicht gebläht war, aber keine Schmerzen verursachte. Die übrige Untersuchung von Tigger war unauffällig.
  • Die erste Auswertung des mittels Zystozentese gewonnenen Urins ergab ein spezifisches Gewicht des Urins von 1,025, keine Proteinurie, ruhiges Sediment und einen pH-Wert von 6,4. Die übrigen Ergebnisse lagen innerhalb der normalen Werte. Die Ergebnisse der Blutuntersuchungen (d. h. komplettes Blutbild, serumchemisches Profil, Gesamtthyroxin) lagen innerhalb der normalen Grenzwerte, obwohl der Gesamtthyroxinwert an der oberen Grenze des Referenzbereichs lag.

Nieren- und Harnwegserkrankungen

Chronische Nierenerkrankung (CNE) bei Katzen

Eine chronische Nierenerkrankung wird bei etwa jeder dritten Katze im Alter von über 10 Jahren diagnostiziert.1,2 Obwohl die Ursache der CNE auch auf die Rasse zurückzuführen sein kann, wie z. B. im Falle der polyzystischen Nierenerkrankung bei Perserkatzen, ist die Ursache in der Regel unbekannt.3 Auf der Grundlage klinischer Untersuchungen und Labortests kann die CNE bei Katzen in verschiedene Stadien eingeteilt werden. Die Behandlung erfolgt dann mit einer Kombination aus medizinischen Interventionen und therapeutischer Diät entsprechend den von der International Renal Interest Society (IRIS) entwickelten Leitlinien.

Das Ernährungsmanagement bei Katzen mit CNE ist auf vier grundsätzliche Ziele ausgerichtet: Aufrechterhaltung eines angemessenen Ernährungsstatus, Milderung der klinischen Folgen der CNE, einschließlich Urämie-Symptome Abwendung der Veränderungen der Homöostase die aus einer unzureichenden Nierenfunktion resultieren, Verlangsamung der Krankheitsprogression und Verlängerung der Lebenserwartung.4 Trotz des fortschreitenden Charakters der Krankheit kann ein individuelles Medizin- und Ernährungsmanagement den Katzen helfen, noch viele Jahre mit einer CNE zu leben.5 

Symbol „violette Katzenniere“
Wussten Sie schon?

Während bei Menschen mit CNE eine Natriumrestriktion empfohlen wird, gibt es Hinweise darauf, dass diese bei Katzen nicht nur unnötig ist, sondern sogar schädlich sein kann.2,10

Kernbotschaften


  • Zentrale Bestandteile einer wirksamen Versorgung sind regelmäßige Bewertungen des Ernährungsstatus und ein auf den Patienten zugeschnittener Ernährungsplan.6 
    • Die Bestimmung der Muskelmasse ist besonders wichtig, da das Kreatinin bei Patienten mit geringer Muskelmasse irreführend niedrig sein kann.7  
    • Ein Verlust an fettfreier Körpermasse geht mit einer erhöhten Alters- und CNE-Sterblichkeit einher.5,7 
  • Achten Sie auf eine ausreichende Kalorienzufuhr. Wenn der Energiebedarf nicht gedeckt wird, kommt es zum Abbau von Körpergewebe und in der Folge zu einem Verlust an fettfreier Körpermasse und einem erhöhten Risiko für Morbidität und Mortalität bei Katzen mit CNE.8  
    • Vermeiden Sie unnötige Futterumstellungen bei kranken Katzen, um das Risiko einer Futteraversion zu verringern, die zur Verweigerung bestimmter Diäten führt. Wenn eine Ernährungsumstellung angezeigt ist, sollte diese langsam und zu einem für die Katze angenehmen Zeitpunkt erfolgen.6  
  • Zu den wichtigsten Faktoren im Bereich der Ernährung zählen Phosphor, Eiweiß, Kalium, Omega-3-Fettsäuren und Puffer zur Erhöhung der Alkalinität. Therapeutische Nierendiäten erbringen bei Katzen mit mittelschwerer bis schwerer CNE bessere klinischen Ergebnisse (längeres Überleben und weniger urämische Krisen) als Erhaltungsdiäten für ausgewachsene Tiere.4,9-12   
    • Bei Vorliegen einer CNE und Hyperphosphatämie ist der Phosphorhaushalt gestört und das Parathormon (PTH) oder der Fibroblasten-Wachstumsfaktor 23 (FGF23) erhöht, was angesichts der bestehenden Nierenerkrankung zu weiteren Schädigungen führt. Der Serumphosphatspiegel sollte abhängig vom IRIS-Stadium mit einer Beschränkung der Phosphoraufnahme und Phosphatbindern behandelt werden.4 
  • Katzen, insbesondere wenn sie älter sind, haben einen hohen Proteinbedarf. Ziel ist es, einen Mangel zu vermeiden, der einen Verlust an fettfreier Körpermasse nach sich ziehen kann, und gleichzeitig einer übermäßigen Aufnahme vorzubeugen.6  
    • Auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse ist eine grundsätzliche Proteinrestriktion bei Katzen mit CNE nicht angezeigt.10 
    • Ein höherer Proteinspiegel in den frühen Stadien der CNE kann zur Erhaltung der fettfreien Körpermasse beitragen.13-15  
    • Eine mäßige Proteinrestriktion in späteren Stadien kann die Akkumulation von stickstoffhaltigen Abfallprodukten verringern.4  
  • Ein im Normbereich liegender Kaliumspiegel ist für eine normale Nierenfunktion von entscheidender Bedeutung, da ein niedriger Kaliumspiegel eine CNE verursachen oder verschlimmern kann.6  
    • Zwar sind die meisten therapeutischen Nierendiäten mit Kalium angereichert, doch der Blutspiegel bei Katzen mit CNE sollte routinemäßig überwacht werden.16-19  
  • Die Versorgung mit Omega-3-Fettsäuren aus Fischöl ist eine gängige Therapieempfehlung.10,11, 20  

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Literatur

  1. Lulich, J. P., Osborne, C. A., O’Brien T. D., & Polzin, D. J. (1992). Feline renal failure: Questions, answers, questions. Compendium on Continuing Education for the Practicing Veterinarian14, 127–152.
  2. Sparkes, A. H., Caney, S., Chalhoub, S., Elliott, J., Finch, N., Gajanayake, I., Langston, C., Lefebvre, H. P., White, J., & Quimby, J. (2016). ISFM consensus guidelines on the diagnosis and management of feline chronic kidney disease. Journal of Feline Medicine and Surgery18(3), 219–239. doi: 10.1177/1098612X16631234
  3. Brown, C. A., Elliott, J., Schmiedt, C. W., & Brown, S. A. (2016). Chronic kidney disease in aged cats: Clinical features, morphology, and proposed pathogeneses. Veterinary Pathology53(2), 309–326. doi: 10.1177/0300985815622975
  4. International Renal Interest Society (IRIS). (2019). IRIS staging of CKD (modified 2019). http://www.iris-kidney.com/pdf/IRIS_Staging_of_CKD_modified_2019.pdf​
  5. Boyd, L. M., Langston, C., Thompson, K., Zivin, K., & Imanishi, M. (2008). Survival in cats with naturally occurring chronic kidney disease (2000–2002). Journal of Veterinary Internal Medicine, 22(5), 1111–1117doi: 10.1111/j.1939-1676.2008.0163.x​
  6. Quimby, J. M. (2016). Update on medical management of clinical manifestations of chronic kidney disease. Veterinary Clinics of North America: Small Animal Practice46(6), 1163–1181. doi: 10.1016/j.cvsm.2016.06.004
  7. Freeman, L. M., Lachaud, M. P., Matthews, S., Rhodes, L., & Zollers, B. (2016). Evaluation of weight loss over time in cats with chronic kidney disease. Journal of Veterinary Internal Medicine30(5), 1661–1666. doi: 10.1111/jvim.14561
  8. Larsen, J. A. (2016). Controversies in veterinary nephrology: Differing viewpoints: Role of dietary protein in the management of feline chronic kidney disease. Veterinary Clinics of North America: Small Animal Practice46(6), 1095–1098. doi: 10.1016/j.cvsm.2016.06.012
  9. Elliott, J., Rawlings, J. M., Markwell, P. J., & Barber, P. J. (2000). Survival of cats with naturally occurring chronic renal failure: Effect of dietary management. Journal of Small Animal Practice41(6), 235–242. doi: 10.1111/j.1748-5827.2000.tb03932.x
  10. Laflamme, D., Backus, R., Brown, S., Butterwick, R., Czarnecki-Maulden, G., Elliott, J., Fascetti, A., & Polzin, D. (2020). A review of phosphorus homeostasis and the impact of different types and amounts of dietary phosphate on metabolism and renal health in cats. Journal of Veterinary Internal Medicine34(6), 2187–2196. doi: 10.1111/jvim.15961
  11. Plantinga, E. A., Everts, H., Kastelein, A. M., & Beynen, A. C. (2005). Retrospective study of the survival of cats with acquired chronic renal insufficiency offered different commercial diets. Veterinary Record157(7), 185–187. doi: 10.1136/vr.157.7.185
  12. Ross, S. J., Osborne, C. A., Kirk, C. A., Lowry, S. R., Koehler, L. A., & Polzin, D. J. (2006). Clinical evaluation of dietary modification for treatment of spontaneous chronic kidney disease in cats. Journal of the American Veterinary Medical Association229(6), 949–957. doi: 10.2460/javma.229.6.949
  13. Nguyen, P., Leray, V., Dumon, H., Martin, L., Siliart, B., Diez, M., & Biourge, V. (2004). High protein intake affects lean body mass but not energy expenditure in nonobese neutered cats. Journal of Nutrition, 134(8 Suppl), 2084S–2086S. doi: 10.1093/jn/134.8.2084S
  14. Noguiera, A., Pires, M., & Oliveira, P. (2017). Pathophysiological mechanisms of renal fibrosis: A review of animal models and therapeutic strategies. in vivo, 31(1): 1–22.
  15. Perez-Camargo, G. (2004). Cat nutrition: What’s new in the old? Compendium on Continuing Education for the Practicing Veterinarian, 26(S2A), 5–10.
  16. Buranakarl, C., Mathur, S., & Brown, S. A. (2004). Effects of dietary sodium chloride intake on renal function and blood pressure in cats with normal and reduced renal function. American Journal of Veterinary Research65(5), 620–627doi: 10.2460/ajvr.2004.65.620​
  17. DiBartola, S. P., Buffington, C. A., Chew, D. J., McLoughlin, M. A., & Sparks, R. A. (1993). Development of chronic renal disease in cats fed a commercial diet. Journal of the American Veterinary Medical Association202(5), 744–751.
  18. Dow, S. W., Fettman, M. J., LeCouteur, R. A., & Hamar, D. W. (1987). Potassium depletion in cats: Renal and dietary influences. Journal of the American Veterinary Medical Association191(12), 1569–1575.
  19. Theisen, S. K., DiBartola, S. P., Radin, M. J., Chew, D. J., Buffington, C. A., & Dow, S. W. (1997). Muscle potassium content and potassium gluconate supplementation in normokalemic cats with naturally occurring chronic renal failure. Journal of Veterinary Internal Medicine11(4), 212–217. doi: 10.1111/j.1939-1676.1997.tb00093.x
  20. Priante, G., Musacchio, E., Valvason, C., Clari, G., Bordin, L., Sartori, L., & Baggio, B. (2013). Further insights about the beneficial effects of n-3 fatty acids in the early molecular events of renal fibrosis in vitro. Journal of Nephrology26(4), 652–659. doi: 10.5301/jn.5000193