Praxisbeispiel

Lernen Sie Annie kennen, eine junge ausgewachsene Hündin einer kleinen Rasse mit Juckreiz und chronischem Durchfall.

Darf ich vorstellen: ANNIE

Eine 1-jährige, kastrierte Scottish Terrier-Hündin

  • Annie kommt in die Praxis wegen Juckreiz, Durchfall und mäßigem braunem Ausfluss in ihrem rechten Ohr. Die Besitzerin gibt an, dass ihre Anzeichen vor drei Monaten begonnen haben.
  • Annie hat bis vor etwa einem Monat ein Trockenfutter für Welpen gefressen. Dann wurde sie von ihrer Besitzerin auf die gleiche Trockenfuttermarke für ausgewachsene Hunde umgestellt. Annie lebt zusammen mit einem drei Jahre alten Schnauzer, Bebe, in einem Haus. Dieser Hund ist gesund und hat keine Haut- oder Magen-Darm-Beschwerden. Sie gehen täglich drei Mal an der Leine spazieren.
  • Bei der Untersuchung werden bei Annie ein generalisiertes Erythem, speichelfleckige Pfoten und eine Otitis externa (rechtes Ohr) festgestellt. Es gibt keine Anzeichen für Flöhe oder andere Ektoparasiten. Annie hat weder Husten, Niesen noch Augenausfluss, und ihre Herz- und Lungengeräusche sind normal.
  • Annie hat einen schlanken Körperbau und normale Muskelmasse.
  • Der Rest der Untersuchung liegt im normalen Bereich.

Hauterkrankungen

Futtermittelallergie und Futtermittelunverträglichkeit

Futtermittelallergien und -unverträglichkeiten sind jeweils unterschiedliche Mechanismen von unerwünschten Reaktionen auf Futtermittel. Der Unterschied zu anderen Arten von unerwünschten Futtermittelreaktionen, wie z. B. Vergiftungen, besteht darin, dass es sich um eine anormale Reaktion auf ein „normales“ Futtermittel handelt. 

In der wissenschaftlichen Literatur werden unterschiedliche Häufigkeiten von Futtermittelallergien und -unverträglichkeiten angegeben, was zumindest teilweise auf die Unterschiede bei den untersuchten Patientengruppen und den verwendeten Diagnosemethoden zurückzuführen ist.1 Die Untersuchungen ergaben, dass die Häufigkeit, mit der Hunde aufgrund von Juckreiz in einer Facharztpraxis oder Universitätsklinik vorgestellt wurden, bei zwischen 9 und 40 % liegt.1 Bei bis zu 24 % der Hunde, die wegen Hautproblemen in einer Facharztpraxis oder an einer Universitätsklinik vorgestellt wurden, wurde eine Futtermittelallergie oder -unverträglichkeit diagnostiziert gegenüber 0,4 % der Hunde, die mit Hautproblemen in einer Allgemeinpraxis vorgestellt wurden.1,2 Bis zu 21 % der Katzen, die wegen Juckreiz in einer Universitätsklinik vorgestellt wurden, erhielten die Diagnose einer Futtermittelallergie oder -unverträglichkeit, wohingegen diese Diagnose bei lediglich 0,2 % aller Katzenpatienten, die in einer Universitätsklinik vorgestellt wurden, gestellt wurde.1

Wenn ein Haustier eine unerwartete unerwünschte Reaktion auf ein normales Futter zeigt, wird häufig angenommen, dass es an einer Futtermittelallergie leidet, doch das Problem kann auch eine Futtermittelunverträglichkeit sein. Auch wenn die Ursachen unterschiedlich sind, weisen Futtermittelallergien und -unverträglichkeiten ähnliche klinische Symptome auf und werden auf ähnliche, wenn nicht sogar dieselbe Weise diagnostiziert und ernährungstechnisch behandelt.3

Symbol „generisches Follikel“

Kernbotschaften


  • Futtermittelallergien sind immunvermittelte Reaktionen auf einen Bestandteil des Futtermittels, der als Allergen bezeichnet wird. Allergene sind Proteine. Eine Allergie entwickelt sich in der Regel nach wiederholter Exposition gegenüber dem auslösenden Allergen.4
    • Die häufigsten Futtermittelallergene für Hunde befinden sich in Rindfleisch, Milchprodukten und Huhn und für Katzen in Rindfleisch, Fisch und Milchprodukten.4,5 
    • Die häufigsten Allergene sind die Proteine, die am häufigsten in Haustierfutter vorkommen. Haustiere kommen häufiger mit ihnen in Berührung als mit anderen Eiweißquellen im Futter, was die Gefahr der Entwicklung einer Allergie erhöht.3
  • Bei Futtermittelunverträglichkeiten ist keine spezifische immunologische Komponente bekannt. Sie können jederzeit beim ersten oder einem späteren Kontakt mit dem Futter auftreten.4
    • Stoffwechselbedingte Futtermittelunverträglichkeiten können aus einem Mangel an Verdauungsenzymen resultieren, z. B. Laktoseintoleranz aufgrund eines niedrigen Spiegels des Enzyms Laktase im Dünndarm.6 Zwar fällt der Laktasespiegel bei Welpen und Katzenjungen nach der Entwöhnung ab7 , doch eine Laktoseintoleranz ist nach wie vor selten.
    • Als idiopathische Futtermittelunverträglichkeiten werden Fälle bezeichnet, in denen ein einzelnes Haustier eine unerwünschte Reaktion auf Futtermittel oder Zutaten hat, die von den meisten Haustieren gut vertragen werden, ohne dass eine Ursache für die unerwünschte Reaktion bekannt ist.6
  • Futtermittelallergien und -unverträglichkeiten verursachen in der Regel dermatologische oder gastrointestinale Symptome bei Haustieren:8
    • Das häufigste dermatologische Symptom ist ein nicht jahreszeitlich bedingter Juckreiz, der bei Hunden häufig generalisiert auftritt oder die Ohren, die Pfoten, den Bauch und/oder das Gesicht betrifft, und sich bei Katzen häufig in Gesicht, Kopf und Hals manifestiert.9 Das darauffolgende Kratzen kann zu Erythemen, wiederkehrenden Hautinfektionen und/oder Alopezie (Haarausfall) führen. Bei Hunden kann, unter Umständen als einziges klinisches Symptom, eine Gehörgangsentzündung (Otitis externa) auftreten1, und bei Katzen eine miliare Dermatitis.8,9
      • Bei Haustieren mit allergischen Hauterkrankungen tritt eine Futtermittelallergie seltener auf als eine atopische Dermatitis (Umweltallergene, z. B. Pollen) und/oder eine allergische Flohdermatitis.4 Bei Haustieren, die mit dermatologischen Symptomen in einer Allgemeinpraxis vorgestellt wurden, wurde bei Hunden 20 Mal häufiger eine atopische Dermatitis oder eine allergische Flohdermatitis diagnostiziert als eine Futtermittelallergie und bei Katzen 4 Mal häufiger eine allergische Flohdermatitis.2
    • Zu den gastrointestinalen Symptomen gehören u. a. Durchfall, Erbrechen und häufigerer Stuhlgang (siehe nahrungsmittelbedingte Enteropathie bei Hunden und Katzen).8
      • Bei Haustieren, die sowohl dermatologische als auch gastrointestinale Anzeichen aufweisen, ist es wahrscheinlicher, dass eine Futtermittelempfindlichkeit vorliegt als eine atopische Dermatitis.10,11 
  • Der Goldstandard für die Diagnose einer Futtermittelallergie oder -unverträglichkeit ist ein Nahrungsmittelausschlusstest.4,8 
  • Das langfristige Ernährungsmanagement von Haustieren mit einer bestätigten Futtermittelallergie oder -unverträglichkeit umfasst die Vermeidung des identifizierten Allergens oder der identifizierten Zutat oder die fortgesetzte Gabe des hydrolysierten, aminosäurehaltigen oder vollwertigen und ausgewogenen neuartigen Proteinfutters, das im Rahmen des Nahrungsmittelausschlusstest eingesetzt wurde.4

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Literatur

  1. Olivry, T. und Mueller, R. S. (2017). Critically appraised topic on adverse food reactions of companion animals (3): Prevalence of cutaneous adverse food reactions in dogs and cats. BMC Veterinary Research, 13(1), 51. DOI: 10.1186/s12917-017-0973-z
  2. Hill, P. B., Lo, A., Eden, C. A. N., Huntley, S., Morey, V., Ramsey, S., Richardson, C., Smith, D. J., Sutton, C., Taylor, M. D., Thorpe, E., Tidmarsh, R. und Williams, V. (2006). Survey of the prevalence, diagnosis and treatment of dermatological conditions in small animals in general practice. Veterinary Record, 158(16), 533–539. DOI: 10.1136/vr.158.16.533
  3. Mandigers, P. und German, A. J. (2010). Dietary hypersensitivity in cats and dogs. Tijdschrift voor Diergeneeskunde, 135(19), 706–710.
  4. Verlinden, A., Hesta, A., Millet, S. und Janssens, G. P. J. (2006). Food allergy in dogs and cats: A review. Critical Reviews in Food Science and Nutrition, 46, 259–273. DOI:10.1080/10408390591001117
  5. Mueller, R. S., Olivry, T. und Prélaud, P. (2016). Critically appraised topic on adverse food reactions of companion animals (2): Common food allergen sources in dogs and cats. BMC Veterinary Research, 12, 9. DOI: 10.1186/s12917-016-0633-8
  6. Gaschen, F. P. und Merchant, S. R. (2011). Adverse food reactions in dogs and cats. Veterinary Clinics of North America: Small Animal Practice, 41(2), 361–379. doi:10.1016/j. cvsm.2011.02.005
  7. Craig, J. M. (2019). Food intolerance in dogs and cats. Journal of Small Animal Practice, 60, 77–85. DOI: 10.1111/jsap.12959
  8. Mueller, R. S. und Unterer, S. (2018). Adverse food reactions: Pathogenesis, clinical signs, diagnosis and alternatives to elimination diets. The Veterinary Journal, 236, 89–95. DOI: 10.1016/j.tvjl.2018.04.014
  9. Olivry, T. und Mueller, R. S. (2019). Critically appraised topic on adverse food reactions of companion animals (7): Signalment and cutaneous manifestations of dogs and cats with adverse food reactions. BMC Veterinary Research, 15(1), 140. DOI: 10.1186/s12917-019-1880-2
  10. Hobi, S., Linek, M., Marignac, G., Olivry, T., Beco, L., Nett, C., Fontaine, J., Roosje, P., Bergvall, K., Belova, S., Koebrick, S., Pin, D., Kovalik, M., Meury, S., Wilhelm, S. und Favrot, C. (2011). Clinical characteristics and causes of pruritus in cats: A multicentre study on feline hypersensitivity‐associated dermatoses. Veterinary Dermatology, 22(5), 406–413. DOI: 10.1111/j.1365-3164.2011.00962.x
  11. Picco, F., Zini, E., Nett, C., Naegeli, C., Bigler, B., Rüfenacht, S., Roosje, P., Ricklin Gutzwiller, M. E., Wilhelm, S., Pfister, J., Meng, E. und Favrot, C., (2008). A prospective study on canine atopic dermatitis and food-induced allergic dermatitis in Switzerland. Veterinary Dermatology, 19(3), 150–155. DOI: 10.1111/j.1365-3164.2008.00669.x